Cola-Enten und Suppen-Taschen | The Hans in Shanghai
Die Zeiten von Hund und Katz in Kochtöpfen sind lang vorbei. Die 26-Millionen-Metropole Shanghai bietet auch weit mehr als Pekingente klassisch - ein kulinarischer Streifzug durch finstere Garagen, koloniale Villen und lokale Institutionen.
Er schaut aus wie ein junger Che Guevara mit seinem Fünftagebart und der grauen Schirmkappe, aber Paul Pairet ist Franzose und der mit Abstand beste Koch in China. Sein "Ultraviolet" hat nicht nur drei Sterne, sondern findet sich auch weiter oben auf der "World's 50 Best"-Liste und für mich ist es das faszinierendste Restaurant überhaupt.
Aber stopp! "Ultraviolet" ist eigentlich kein Restaurant, sondern eine Event-Location, wo nicht nur die Geschmacksnerven, sondern sondern alle Sinne angeregt werden. Mithilfe eines spendablen chinesischen Geldgebers hat Paul Pairet in einem leicht herunter- gekommenen Hinterhof von Shanghai sein Lokal gestaltet, nach dem Motto: "Außen pfui, innen hui!" Die Gäste werden in einem kleinen Minibus an einen "geheimen Ort" im Norden der Stadt geshuttlet und durch die dunkle Garage geführt. Auf Knopfdruck öffnet sich die Schleuse, und ein Gourmetparadies tut sich auf.
Nur zehn Personen haben in dem großen Speisesaal Platz. 20 Gän- ge werden serviert - und jeder Gang ist ein Gesamtkunstwerk. 360-Grad-Video, Sensurround, einströmende Düfte, alles auf den jeweiligen Gang abgestimmt. Bei "Surf-Surf-Turf-Turf " gibt's auf den Teller Austern, Sepia, Foie gras, Ente, auf den Videowän- den plätschert auf der einen Seite das Meer und auf der anderen Seite knistert ein Lagerfeuer, und die Beach Boys sorgen mit "Good Vibrations" für die musikalische Untermalung.
Zum Abschluss der Asia-Gänge wird natürlich Ente aufgetischt. An seiner "Beijing-Cola-Duck" hat Chef Pairet zehn Jahre gearbeitet. Die Ente wird in heißem Coca-Cola frittiert, serviert wird dann nur die Entenhaut, knusprig und mit Cola-Geschmack. "Nicht schlecht", wie der skeptische Genussmensch zu sagen pflegt. Und damit die zehn Gäste am riesigen Tisch auch was zu tun haben, dürfen sie ihr letztes Dessert selbst zubereiten: "Mango Master" aus Mango, Pomelo, Lakritzgelee und Dillsirup. Und das schmeckt sogar, auch wenn sich mancher unbeholfen anstellt.
Paul Pairet ist in China ein Star
Dann öffnet sich wie von Geisterhand die Wand zur Küche und alle strömen zum großen Meister und machen Selfies. "Ja, ich bin inzwischen ein halber Chinese geworden", lacht Paul und stößt mit mir "Backstage" mit einem Grand-Cru-Champagner an. Und schwärmt von seinen anderen Restaurants in Shanghai, dem euro- chinesischen "Mr & Mrs Bund" mit wunderschönem Blick (inklu- sive Terrasse) auf die Shanghai-Skyline und dem "Polux" im riesigen Einkaufskomplex Xintiandi, einem Originalbistro mitten in der 26-Millionen-Metropole.
Da aber ohne langfristige Reservierung und eine prall gefüllte Brieftasche (400 Euro pro Person für das Spektakel) ein Platz im "Ultraviolet" nicht zu ergattern ist, habe ich natürlich auch noch andere Restaurants in der Metropole getestet.
Wer nach etwas gehobener Shanghai-Küche sucht, der wird wahr- scheinlich am besten im "Fu 1088", einer alten Villa im kolonialen "French Concession"-Distrikt fündig, oder bei "Yongfoo Elite", wo man noch ein bisserl vornehmer speisen kann: Enteneier (in Tee mariniert), geräucherter Kabeljau (mit braunen Bohnen), Drunken Chicken (im Reiswein zubereitet), geschmorter Schweinebauch (in einer schwarzen Teesauce) - leicht ist anders, aber eben typisch Shanghai.
Wenn's wirklich einheimisch werden soll, gehe ich am liebsten ins "Jesse", eine Shanghaier Institution schon seit den kulturrevolutionären Zeiten - einfach, laut, aber richtig gut, und man trifft Chinesen und wenige Touristen. Trotzdem gibt's seit heuer die Speisekarte, reich bebildert, auch in Englisch - allerdings nur eine einzige verknitterte. Bestellen Sie einfach, was Ihnen am Nachbartisch positiv aufgefallen ist, ein bisschen Mut gehört bei der chinesischen Küche schon dazu.
Auf die berühmte Pekingente wollen wir natürlich auch 1200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt nicht verzichten. Und die gibt's meiner Meinung nach am besten im "Xindalu" im Hyatt on the Bund, wo der deutsche Chef Sebastian Kellerhoff darauf schaut, dass seine chinesischen Sous-Köche die Enten auf den Punkt garen und die Haut trotzdem zart und knusprig bleibt.
Papierdünne Scheiben vom Tintenfisch
Und noch ein weiterer Geheimtipp: Das vom Namen her französisch anmutende "Le Patio & La Famille" hat sich der Hangzhou-Küche verschrieben, einer Region etwas weiter südlich von Shanghai. Das Exterieur im Erdgeschoß eines alten Bürohauses ist altmodisch, die "Namensschilder" des Service befremdlich - "Nr. 6" war meine Tischdame, und der Manager trug stolz die "Nr. 1". Aber sie werden kaum ein Lokal finden, wo die Küche derart exakt arbeitet, bei der Zubereitung und beim Anrichten: papierdünne Scheiben vom Tintenfisch in Sojasauce, gebratene Krabbe mit Reis- cake, eine Pyramide aus - wiederum sehr dünnen - Schweine- fleischschnitten und Gemüse, alles ein Gedicht.
Wofür die Shanghai-Küche wirklich bekannt ist, sind die berühmten "Soup Dumplings", Xiaolongbao genannt, Teigtaschenmit Fleisch oder Krabben und einem Schuss Suppenbrühe gefüllt. Reinbeißen und im Mund vereint sich alles - aber bitte aufpassen, oft ist die Suppe brennheiß. Daher lieber ein paar Minuten zuwarten und mit einem kurzen Gabelstich die heiße Luft rauslassen. Wo es die besten dieser Teigtaschen gibt, darüber können die Shanghaier stundenlang streiten. Ich verkoste sie am liebsten bei "Maggie Chan" in der Nähe des Bunds, bei "Din Tai Fung" (eigentlich eine taiwanesische Kette, die es bis nach New York geschafft hat) oder im Minilokal "Jia Jia Tang Bao", wo sich die Shanghaier Geschäftsleute zu Mittag rund um den Häuserblock anstellen, um die angeblich besten Baos der Stadt zu ergattern.
Stimmt schon, die chinesische Küche und im Speziellen die in Shanghai ist für uns Europäer etwas gewöhnungsbedürftig. Aber, ich verspreche es, die Zeit von Hund und Katz im Suppentopf ist lang vorbei, heute kann man die chinesische Kulinarik fast über- all ohne Abstriche genießen - wenn man sich auf sie einlässt und ein wenig abenteuerlustig ist. Darauf trinken wir den berühmten chinesischen Getreideschnaps Maotai. Ganbei!

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