Viel neues in der Hauptstadt | The Hans in Berlin

09.03.2020

Viel Neues in der Hauptstadt

Unglaublich, aber wahr. Zehn Restaurants mit drei Sternen, 38 mit zwei Sternen und 261 mit einem - 309 Restaurants hat der Guide Michelin somit in Deutschland ausgezeichnet. Damit ist Deutschland nach Frankreich die zweitstärkste kulinarische Macht in Europa.

In Berlin ist die Spitze der Gastronomie heiß umkämpft. Und auch die Österreicher sind vorne dabei. Ich treffe Willi Schögl in seiner Weinbar "Freundschaft". Ein Glaserl Sauvignon Blanc vom Tement in der Hand, hinter ihm ein Porträt vom ehemaligen Kanzler Bruno Kreisky: "Wir trinken hier auf die deutsch-österreichische Freundschaft!", lacht der steirische Weinfreak mit Geschäftssitz in Berlin.

200 österreichische Weine werden in der "Freundschaft" in Berlin-Mitte ausgeschenkt. Für Berliner Nachtschwärmer (und die, die schon am frühen Abend unterwegs sind) gibt's auch österreichische Schmankerl: Leberkäse vom Fleischhauer Urban aus St. Johann im Pongau, einen Rindfleischsalat mit Kernöl und Beef Tatar vom steirischen Ochsen.

Seit er aus der berühmt-berüchtigten "Cordobar" ausgestiegen ist (die wurde wegen Lärmklage der Nachbarn geschlossen und als "normales" Restaurant "CORDO" weitergeführt), hat er die "Freundschaft" gleich neben der bekannten Prachtstraße "Unter den Linden" zum neuen Hotspot der Berliner aufgebaut. "In Berlin tut sich so viel, die Szene hier ist sicher die dynamischste im ganzen deutschen Sprachraum", sagt Schlögl. Da hat er recht, der Willi.

Auf dem Weg zum dritten Stern

Aber wir wollen uns weniger aufs Nachtleben als auf die dynamische Restaurantszene konzentrieren. Und auch die wird von einem Österreicher angeführt. Mit seinem "Horváth", dort, wo in den 70er-Jahren das "Exil" von Aktionist Ossi Wiener Furore machte, hat sich Sebastian Frank an die Spitze der Berliner Gastronomie gekocht. Seine pannonisch-internationale Küche hat er in den letzten Jahren um ein paar Retro-Ideen erweitert: Das "Butterbrot" wird bei ihm mit Felchen-Kaviar und Kartoffelrahm-Creme gereicht, das Grießtascherl mit Bergkäse gefüllt, der reduzierte Saft vom Paprikahenderl als Sauce für den gegrillten Stör ("Stör-Paprikasch") verwendet, und als Hommage aufs faschierte Laberl gibt's ein Pilzhaschée aus Kräuterseitlingen, das dem Laberl nicht nur ähnlich sieht, sondern auch ähnlich schmeckt.

Der Mann hat das Zeug zum dritten Stern, sagen sie in Berlin. Sterne, Hauben, egal. Sebastian Frank ist in Berlin sesshaft geworden: "Meine Frau ist aus Berlin, die zwei Kinder wachsen hier auf, und das Haus, das wir gerade gebaut haben, ist auf 15 Jahre abzuzahlen - ich denk, ich werd wohl in Berlin bleiben!"

Asiatisch mit Tim Raue

Wer's asiatisch inspiriert haben will, geht zum großartigen Tim Raue, der trotz seiner zahlreichen anderen Restaurants meistens im Stammhaus in der Rudi-Dutschke-Straße anzutreffen ist. Einmal hat er in seinem gleichnamigen Restaurant gemeinsam mit Heinz Reitbauer ein achtgängiges Menü gekocht, der Heinz mit seinem Saibling im Bienenwachs und der Tim mit seiner Wasabi-Garnele. Und Tim Raue gab vor Publikum sogar zu, dass er sich einmal ebenfalls beworben hat im "Steirereck - aber dann doch in Berlin geblieben ist. Gut für Berlin, schlecht für Wien, einen echten "Tim Raue" könnten die Wiener schon vertragen.

Im nahe gelegenen Potsdam hat Tim vor kurzem gemeinsam mit TV- und Wein-Star Günther Jauch die "Villa Kellermann" aufgemacht, wo er bodenständige deutsche Küche servieren lässt - aber natürlich nach Art des Hauses verfeinert. Der geräucherte Aal kommt mit Birne und Kohlrabi und die Königsberger Klopse mit neuer Rezeptur, die schmecken wirklich großartig.

Der neueste Avantgarde-Vogel kommt eher aus der Wein-Welt. Billy Wagner war (und ist bis heute) ein exzentrischer Sommelier, der gemeinsam mit seinem Kompagnon und Koch Micha Schäfer das "Nobelhart & Schmutzig" eröffnet hat. Wie es seit dem "Brooklyn Fare" in New York architektonisch en vogue ist, gibt's kaum Sitzplätze an Tischen, sondern Hochstühle an einer riesigen hufeisenförmigen Bar. Dort werden elf aufregende Minigänge mit viel Gemüse von Chicorée bis Dillblüten und Wacholder zum Verkosten gereicht - um wohlfeile 120 Euro, "inklusive Wasser, sprudelnd & still". Und was sich Billy Wagner an Weinbegleitung einfallen lässt, ist wie immer grandios. Drei seiner Weine habe ich mir inzwischen für zu Hause bestellt. Die karamellisierte Vulva ("Das war ein Kunstobjekt!", sagt Billy) als Wegzehrung, die meine Frau empört hat, wurde zwischenzeitlich durch ein Canelé, eine Art französischer Mini-Guglhupf, ersetzt.

Natürlich gibt's auch eine Menge anderer Spitzen-Gourmet-Adressen in Berlin, die einen Besuch wert sind. In der "Rutz Weinbar" beweist Marco Müller, dass er zu Recht "Berliner Koch des Jahres" war - im Erdgeschoß gibt's bodenständige, aber feine Gasthausküche und im ersten Stock exzellentes "Fine Dining". Und im "Pauly Saal" zeigt seit kurzem Dirk Gieselmann, was er bei den Haeberlins in der "Auberge de l'Ill" gelernt hat: feine, französische Küche mit moderner Ausprägung.

Die "jungen Wilden" von Berlin

Was Berlin wirklich ausmacht, ist die Vielzahl neuer Lokale, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind. Kaum ein Tag vergeht ohne Neueröffnung - aber kaum eine Woche vergeht auch, ohne dass eins der trendigen Gasthäuser wieder zusperrt. Trennen wir die Spreu vom Weizen.

Das "Tulus Lotrek" in Kreuzberg gehört sicher zu denjenigen, die bleiben werden. Gemütliche Holztische, eine kompetente und freundliche Bedienung und fünf bis sieben bemerkenswerte Gänge vom Saibling mit Tomatenwasser über den Kaisergranat bis zum Lamm-Tatar und-Rippchen. Ich geb's zu, das ist mein Favorit unter den neuen Gourmetadressen. Genauso wie das "Lode & Stijn" auf der anderen Seite des Landwehrkanals, wo zwei Holländer vier kleine Vorspeisen und vier Hauptgänge von der wilden Auster bis zum gegrillten Maibock servieren.

Das "Golvet" in Berlin-Mitte wiederum präsentiert die beste Aussicht auf Berlin (aus dem achten Stock auf den Potsdamer Platz) und ein aufwändiges, ein bisschen extravagantes Menü: die Jakobsmuschel mit Rhabarber, die Königskrabbe mit Kalbskopf, den Döner mit Spargel - und zum Abschluss "Grün, Grün, Grün", ein Dessert von Sauerampfer mit grünem Spitzpaprika und Chili. Nicht süß, sondern mal was anderes.

Aber natürlich haben auch einige Gourmet-Versuchsküchen auf- gemacht, die von der Kritik wohlwollend bis enthusiastisch gefeiert werden. Mir sind die, ehrlich gesagt, ein bisschen zu manieriert und zu ideologisch. Das "einsunternull" etwa serviert "Gerichte wie die Stadt Berlin - ehrlich, bunt, kreativ, multikulturell inspiriert und mit bodenständigem Charme". Gut, aber anstrengend. Im winzigen "Ernst" (12 Sitze) in Wedding liegt die Speisekarte aufgrund der Nationalität des Kochs nur Englisch auf. Vorne- weg muss man ein Ticket kaufen - um 185 Euro, und der Chef erklärt einem Gang für Gang endlos, warum er was, wie und wes- halb gekocht hat. Und das "Eins44" residiert in einem Neuköllner Hinterhof, wo sich früher eine Destillerie befunden hat, dort orientiert man sich an der nordischen Küche, allerdings deutsch-ernsthaft. Was es immer an Gräsern, Samen oder Wurzeln gibt, kommt auf den Tisch, ich hatte einmal in Fichtennadelsirup gegarte Petersilienwurzeln mit Selleriestreifen. Na ja, wenn man das braucht. Ein neuer Küchenchef soll jetzt ein bisschen mehr Leichtigkeit und Lockerheit liefern, da freut sich der Gast.

Viel Fleisch und Vertical Farming

Zurück zum Essen, das Spaß macht und ein bisschen einfacher gestrickt ist. Bei "Kumpel & Keule" findet man eine der besten Fleischküchen in Berlin, die Burschen holen sich tatsächlich alles aus dem Berliner Umland. Das Tatar vom Tafelspitz kommt mit Cognac und Wacholder, die Lammbratwurst mit knackigen Linsen und die Bäckchen und Entrecotes vom Schwein werden als "doppelte Sauerei" angepriesen. Im "Herz & Niere" ist das Konzept ähnlich, allerdings gibt's dort Fleischliches auch "nose to tail" inklusive Rinderlunge, Ochsenherz und Spanferkelleber. Und für den Innereien- Freak steht ab und zu auch ein Lammhirn auf der Karte. Dass auch das Gemüse vom "eigenen Acker" kommt, wie einem am Tisch er- klärt wird, macht das Kreuzberger Lokal noch sympathischer.

Apropos Gemüse und eigener Acker. Wie ein großstädtisches Versuchslabor mutet die "Good Bank" nahe dem Alexanderplatz an. "Vertical Farming" nennt sich das Konzept, bei dem mitten in der Stadt auf sieben Etagen Salat und Gemüse unter LED-Licht gedeiht und - frischer geht's nicht - direkt aus den Glasschränken auf den Teller kommt. Keine Angst, die "Good Bank" ist nicht nur was für Vegetarier, man kann auch Salat Bowls mit Lachs oder Beef bestellen.

Weil wir schon bei außergewöhnlichen Konzepten sind, die in Berlin gedeihen. Wer's gerne futurisch und digital hat, sollte sich das "Data Kitchen"-Konzept anschauen. Frühstück oder Lunch wird über Handy avisiert, die Auswahl ist groß - vom Beelitzer Spargel mit Bärlauch über die Saiblingsrolle mit Gemüseampfer bis zum modernen "Strammen Max". In der "Data Kitchen" wird dann alles frisch zubereitet und der Kunde über E-Mail verständigt, wenn's fertig ist. Mit einem Code kann die Glasbox im Restaurant geöffnet und der Lunch gemütlich im 55-Sitze-Lokale verspeist werden. "Fast Slow Food" nennen das die Gründer und danken der Software-Firma SAP für die Unterstützung. Wohl bekomm's.

Ethno-Küche ganz neu

Wie New York, London oder Paris hat sich auch Berlin zu einem Zentrum des Ethno-Dining entwickelt. Die großen Küchen der Welt sind alle mit Spitzenrestaurants vertreten. Im "Kin Dee" isst man wie in Thailand, im "Kochu Karu" wie in Korea und im "Hotspot" gibt's die beste chinesische Küche, inklusive einer sensationellen Weinkarte. Nahöstliches findet man im "Layla" vom israelischen Starkoch Meir Adoni, der nach Tel Aviv und New York in Kreuzberg sein drittes Lokal eröffnet hat.

Und wo bleibt das echte Berlinerische, die "Original Berliner Küche"? Na ja, sagen wir's einmal ehrlich, so großartig war's um die Kulinarik in Berlin nie bestellt. Da dominierten eher Handfestes und Rustikales. Bei meinem ersten Berlin-Besuch vor einigen Jahrzehnten bin ich noch zu Heini Holl nahe dem Kurfürstendamm gepilgert. Dort hab ich die besten Kohlrouladen, fast armdick, verschlungen. Oder ein riesiges Eisbein, südlicher als Schweinshaxe oder Schweinsstelze bekannt. Ganz gut, aber nix für die Diät.

Original Berliner Küche

Der Heini Holl ist tot, aber seine Küche lebt noch weiter. Zu verkosten am besten in der "Letzten Instanz" an der Spree, im angeblich "ältesten Lokal von Berlin", immerhin soll sich dort schon 1621 eine Branntweinstube befunden haben. Oder bei "Radke's Gasthaus Alt-Berlin", schon seit 35 Jahren um die Ecke vom KaDeWe, wo man meine Kohlroulade von anno dazumal "in Gedenken an Promi-Wirt Heini Holl" offeriert.

Nach so viel Völlerei braucht man dann noch einen Absacker. Und den nimmt man dann - siehe eingangs - bei Willi Schlögl in der "Freundschaft" oder man geht ins "Borchardt". Dort kann man nicht nur Bundeskanzlerin Merkel treffen, sondern spätabends auch den einen oder anderen Hollywoodstar, der gerade in Berlin dreht oder sich feiern lässt. 

MEINE TIPPS: 

Freundschaft

Die beste neue Bar

Mittelstraße 1, 10117 Berlin

Tel: +49 30 80492444


CORDO

Drei bis acht moderne Gänge

cordobar.net


Horváth

Das beste Fine Dining, trotzdem gemütlich

restaurant-horvath.de


Tim Raue

Asiatisch at its best

tim-raue.com


Villa Kellermann

Neue deutsche Küche von Tim Raue

villakellermann.de


Nobelhart & Schmutzig

Avantgarde und großartiger Wein

nobelhartundschmutzig.com


Rutz Weinbar

Oben Gourmet, unten gemütlich

rutz-restaurant.de


Pauly Saal

Französisch, aber modern

paulysaal.com


Tulus Lotrek

Gemütliches, aber hochklassiges Wirtshaus

tuluslotrek.de


Lode & Stijn

Zwei Holländer machen Furore

lode-stijn.de


Golvet

Die beste Aussicht auf Berlin

golvet.de


einsunternull

Kreative Multikulti-Küche

restaurant-einsunternull.de


Ernst

Ess-Ticket um 185 Euro

ernstberlin.de


Eins44

Industriechic in Neukölln

eins44.com


Kumpel & Keule

Fleisch, Fleisch, Fleisch

kumpelundkeule.de


Herz & Niere

"Nose to tail" mit viel Innereien

herzundniere.berlin


Good Bank

Gemüse aus dem Schrank

good-bank.de


Data Kitchen

Essen aus der Glasbox

datakitchen.berlin


Ethno-Küche

Kin Dee

Bester Thailänder

kindeeberlin.com


Kochu Karu

Bester Koreaner

kochukaru.de


Hotspot

Bester Chinese

restaurant-hotspot.de


Layla

Beste Nahost-Küche

layla-restaurant.com


Original Berlin

Letzte Instanz

zurletzteninstanz.com


Radke's Gasthaus

alt-berlin.de


Borchardt

Wo sich ganz Berlin trifft

borchardt-restaurant.de 


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